Adhärenz, der Schlüssel zur Wundheilung?
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Prinzipiell ist jeder Mensch bemüht unversehrt und eigenständig sein Leben zu gestalten. Wenn es zu einer Lebenseinschränkung durch eine Krankheit kommt, kann man allerdings schnell abhängig von der Unterstützung anderer Menschen werden. Gerade wenn eine längerfristige Therapie erforderlich ist, ist die aktive Mitarbeit des Erkrankten besonders wichtig, um den Heilungsverlauf günstig zu beeinflussen. Diese Mitarbeit bezeichnet man als Adhärenz.
Autor: Björn Jäger
- Examinierter Krankenpfleger
- Pflegetherapeut Wunde ICW
- Freiberuflicher Dozent und Berater für Wundmanagement
- Leitung der Geschäftsstelle der ICW e.V. im Bereich Koordination und Außendarstellung
Der Begriff Adhärenz leitet sich vom lateinischen Verb „adhaere“ ab, was so viel bedeutet wie „anhaften“ oder „anhängen“. Hält sich ein Patient an die, mit seinem Arzt besprochene Verhaltensregeln damit das Therapieziel erreicht wird, spricht man von Adhärenz. Ihr liegt ein Behandlungsplan zugrunde, den sowohl Patient als auch Arzt gemeinsam erstellt haben. Somit tragen beide Seiten maßgeblich zur Adhärenz bei, die vor allem bei der Therapie chronischer Erkrankungen eine wichtige Rolle spielt.
Die WHO definierte 2003 Adhärenz als:
„Ausmaß, mit welchem das Verhalten eines Patienten mit den Empfehlungen übereinstimmt, die er von einer Person aus dem Gesundheitsbereich erhalten und mit denen er sich einverstanden erklärt hat.“ [1]
Der Fokus der Definition liegt im aktiven Anteil, der zum Großteil in der Hand des Patienten liegt. Daher haben sich auch Begriffe wie Patientenadhärenz etabliert.
Früher war der Begriff Compliance weit verbreitet. Ähnlich wie Adhärenz steht er für die Therapietreue. Allerdings beschränkt sich Compliance allein darauf, dass der Patient die vom Arzt verordnete Therapie ohne Weiteres befolgt. Rompoti et al haben 2016 eine Falldarstellung zur Differenzierung der Begriffe Adhärenz und Compliance veröffentlicht.[2]
In der Falldarstellung wird ein 73 Jahre alter Herr, in der Wundambulanz eines großen deutschen Krankenhauses mit Schmerzen am Unterschenkel vorstellig. Bei der Untersuchung stellten die Ärzte fest, dass die verordneten medizinischen Kompressionsstrümpfe tief in die Haut eingeschnitten waren. Der Herr hatte zuvor, nach der Diagnose „Varikose“, die medizinischen Kompressionsstrümpfe mit der Anweisung, diese „täglich und ein Leben lang zu tragen“ ausgehändigt bekommen. Im festen Glauben alles richtig zu machen, hat er sich genau an diese Anweisung gehalten und die Strümpfe mehrere Monate nicht ausgezogen. Dadurch hatte sich deren Textil tief in die Haut eingeschnitten und musste durch einen chirurgischen Eingriff entfernt werden.
Dieser Fallbericht zeigt das Resultat einer guten Compliance bei eingeschränkter Adhärenz. Der Patient hat die Anweisungen des Arztes wortwörtlich umgesetzt, ohne dass er den medizinischen Hintergrund verstanden hat.
Eine aktive Mitgestaltung der Therapie durch den Patienten setzt voraus, dass dieser seine Erkrankung, ihre Ursachen und die Behandlungsoptionen versteht. Dafür braucht es eine gute Patientenedukation mit patientengerechten Aufklärungsmaterialen und patientenzentrierten Kommunikationsstrategien. Die Initiative Chronische Wunden e. V. erklärt dazu: „Der Patient soll aktiv in die Entscheidungsfindung eingebunden werden. Hierfür muss, in Abhängigkeit von den Vorkenntnissen des Patienten, eine individuelle Patientenedukation erfolgen“[3]
Somit liegt die Schuld für eine schlechte Adhärenz niemals allein beim Patienten. Stattdessen spielen viele Faktoren eine Rolle, unter anderem auch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und die Erfahrungen, die der Patient in der Vergangenheit mit Ärzten gemacht hat. Die Ursachen für eine schlechte Adhärenz sind somit vielfältig und individuell (s. Tabelle1)
Gründe für schlechte Adhärenz (Auszug)[4]
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Sozialökonomisch |
Gesundheitsverständnis, Bildungsniveau, Ethnie, Alter, soziale Netzwerke |
Therapiebezogen |
Komplexität des Therapieplans, Behandlungsdauer, Erfahrungen des Patienten |
Patientenbezogen |
Ressourcen, Wissen, Motivation, Krankheitseinsicht, Charakter |
Krankheitsbezogen |
Krankheitsverlauf, psychische Erkrankungen, Abhängigkeiten von Rauschmitteln |
Gesundheitssystembezogen |
Patienten-Arzt-Beziehung, Kommunikation, fehlender Zugang zur Gesundheitsversorgung, |
Die Adhärenz von Patienten kann, unabhängig von Dauer, Nebenwirkungen und sonstigen Anforderungen einer Therapie, auf unterschiedlichste Weise gefördert werden. Dabei kommt es vor allem darauf an, wie die Therapie mit dem Patienten besprochen und auf dessen Bedürfnisse eingegangen wird. Vor diesem Hintergrund gibt es verschiedene Möglichkeiten die Adhärenz zu fördern:
Stärken des Selbstvertrauens
Inwieweit sich ein Patient zutraut, eine anstrengende Behandlung auch bei Schwierigkeiten durchhalten zu können, ist für ein Therapieerfolg entscheidend. Das Selbstvertrauen des Patienten und das Vertrauen in seine Selbstwirksamkeit kann beispielsweise durch das Berichten von eigenen Erfahrungen oder Erfahrungen anderer Patienten mit der Therapiemethode gestärkt werden.
Konkrete Handlungspläne
Therapiepläne können besser eingehalten werden, je konkreter die Handlungsanweisungen formuliert sind. Handlungsanweisungen definieren konkret, wann, wo und wie ein Verhalten ausgeübt werden soll. Darüber hinaus ist es lohnend, wenn Arzt und Patient den Therapieplan individuell an Lebensführung und Tagesablauf des Patienten anpassen.
Überzeugungen berücksichtigen
Um mit dem Patienten einen Therapieplan auszuarbeiten, ist es wichtig, seine Überzeugungen, Auffassungen und Glaubenssätze zu berücksichtigen. Aus welchem sozialen, kulturellen oder religiösen Umfeld stammt er? Wie versteht er Krankheit und Heilung? Wovor fürchtet er sich? Welche Therapiemethoden lehnt er ab?
Furchtappelle
Furchtappelle, wie beispielsweise auf Zigarettenschachteln, erzielen kurzfristige Effekte. Sie können auch im schlimmsten Fall zu Trotzreaktionen des Patienten führen. Eine Risikokonfrontation nur hilfreich, wenn man gleichzeitig die Bewältigungskompetenzen der Betroffenen stärkt.
Fazit
Die Adhärenz des Patienten ist der Schlüssel in der Behandlung von chronischen Wunden. Wenn ein Patient aktiv an der Erarbeitung des Therapieplanes beteiligt ist, kann er die Maßnahmen leichter in seinen Alltag integrieren und somit den Therapieerfolg sicherstellen. Bei ist es wichtig die Fähigkeiten, Wünsche und Bedürfnisse des Patienten bei der Therapieplanung zu berücksichtigen. Die Ziele des Patienten stehen über den Zielen der Behandler.
Hier geht es zu einem weiteren Artikel zum Thema „Adhärenz in der Wundversorgung“
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Literatur:
[1] Kisa., A.; Sabaté, E.; Nuño-Solinís, R.: ADHERENCE TO LONG-TERM THERAPIES: Evidence for action, 2003.
[2] Rompoti N, Klode K, Dissemond J. Ulcus cruris durch Kompressionsstrümpfe als Resultat guter Compliance aber schlechter Adhärenz. J Dtsch Dermatol Ges 2016; 14(9): 946947.
[3] Dissemond J, Bültemann A, Gerber V, Jäger B, Münter C, Kröger K: Standards für die Diagnostik und Therapie chroni- scher Wunden, Stand 2020. www.icwunden.de/fileadmin/Fachinfos/Standards/ Standards_2020_web.pdf.
[4] Kisa., A.; Sabaté, E.; Nuño-Solinís, R.: ADHERENCE TO LONG-TERM THERAPIES: Evidence for action, 2003.
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